Montag, 14. Februar 2011

Zum Valentinstag: Jahreszeiten der Liebe



Jahreszeiten der Liebe

Es ist Frühling geworden. Die Knospen, die den Winter hindurch vor sich hingeträumt haben, erwachen nun und öffnen sich. Sie strecken sich sehnsüchtig der Sonne entgegen, um die ersten warmen Sonnenstrahlen in sich aufzusaugen und wärmen sich, der Sonne entwöhnt durch lange Winterabende, ihre durchfrorenen Blätter auf. Alles erwacht zu neuem Leben – auch die Menschen, die den Winter hindurch nach Sonne gehungert haben, wärmen sich an ihren Strahlen.

Zwei junge Menschen gehen langsam, als ob sie träumten, die Wege entlang. Sie scheinen diese wunderbare Wandlung der Natur nicht zu bemerken. Sie hat ihre Hand zaghaft in die seine gelegt und wagt kaum, ihn anzusehen. Von Zeit zu Zeit nur streift sie mit einem fragenden Blick sein Gesicht. Es scheint, als ob sie ihn unruhig fragen möchte, ob er genauso fühlt wie sie, ob auch er wie berauscht ist von der leisen Zärtlichkeit, die sie umhüllt und eingeschlossen hat. Stundenlang könnte sie so neben ihm gehen und in sich hineinlauschen, auf das neue Gefühl, das in ihr erwacht ist. Sie möchte am liebsten mit ihm verschmelzen, ganz in ihm aufgehen und für immer eins sein mit ihm.

Die Knospen sind nun aufgebrochen, Bäume und Sträucher sind übersät mit Grün und scheinen unter der Blütenfülle, die sie tragen müssen, fast zusammenzubrechen. Auch die Liebe der beiden jungen Menschen schien sich gleichsam wie eine herrliche Blüte zu entfalten, an deren Knospen noch niemand sah, welche wunderschöne Blume daraus werden würde. Und mit ihr scheint auch sie aufzublühen, ihre Augen strahlen, und über ihrem ganzen Wesen liegt ein verträumter und glücklicher Zauber.

Und es ist Sommer geworden. Die Welt gleicht nun einem Blumenmeer. In einer Vielzahl und Farbenpracht, wie sie nur die Natur bieten kann, prunken Wald, Wiesen und Felder. Zwei junge Menschen taumeln durch dieses Feuerwerk der Farben. Immer neue Schönheiten entdecken sie, freuen sich, dass sie gemeinsam solche wunderbaren Dinge erleben können. Immer wieder sieht sie glücklich und strahlend in sein Gesicht.

Die Menschen scheinen nun endgültig aufgewacht zu sein, und ihre Herzen sind aufgetaut unter den warmen Strahlen der Sonne, die den ganzen Tag vom Himmel glüht wie ein riesiger Feuerball. Alle Menschen sind fröhlicher und aufgeschlossener geworden, und sie sehen verständnisvoll dem jungen Paar nach, das so verliebt und überglücklich durch die Straßen geht.

Die beiden packt der Übermut – sie müssen einfach irgendetwas anstellen, sonst platzen sie vor Glück. Sie laufen barfuß durch den warmen Sommerregen, mitten auf der Straße beginnen sie zu tanzen und zu singen, springen über Pfützen, spielen Verstecken ... und ruhen sich atemlos in den Armen des anderen aus. Mitten in einem Kuss müssen sie plötzlich lachen, sie läuft davon, er läuft ihr nach, holt sie ein, und lachend halten sie sich wieder in den Armen. Endlos scheinen diese Spiele zu sein, immer neue Spiele entdecken sie, kosten sie aus, bis sie müde werden und wenden sich dann dem nächsten zu ... und sie glauben, diese glückliche Zeit wird nie vergehen ...

Doch dann wird es Herbst. Nur noch vereinzelt sind Blumen auf den Wiesen zu sehen, die Welt hat gedämpfte Farben angenommen. Die Blätter färben sich und lösen sich von den Bäumen, so dass diese kahl und schutzlos zurück bleiben. Es wird kälter. Die Menschen hüllen sich frierend enger in ihre Mäntel und hasten eilig durch die Straßen, um bald wieder zuhause zu sein, wo es warm und gemütlich ist.

Zwei junge Menschen gehen nachdenklich nebeneinander her. Sie fröstelt und hüllt sich enger in ihren Mantel – immer wieder sieht sie bang in sein Gesicht. Er ist fremd und abweisend geworden, vergebens sucht sie nach den vertrauten Zügen, die ihr so lieb geworden sind. Wenn er sie ansieht, schauert sie zusammen unter der Kälte und Gleichgültigkeit in seinem Blick. Wann begann diese Veränderung in ihm? Sie weiß es nicht – sie hatte geglaubt, es würde immer so bleiben. Doch seine Liebe welkt nun dahin wie ein Blatt im Wind, und sie kann nichts dagegen tun, gar nichts. Sie muss hilflos zusehen, wie er ihr immer fremder wird. Sie möchte aufschreien, ihn packen und schütteln, damit er endlich aufwacht aus seiner Gleichgültigkeit und wieder so ist wie am Anfang ihrer Liebe – doch sie wagt nicht einmal mehr, ihn zu berühren, um nicht zusammenzuschauern unter der Kälte, die jetzt von ihm ausgeht. Ihr Herz will sich zusammenkrampfen in stummer Qual, ein dicker Kloß steckt in ihrer Kehle, die Augen brennen von tausend ungeweinten Tränen ... und sie schließt die Augen, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen, der ihr jetzt so fremd geworden ist.

Und es wird Winter. Barmherzig senken sich die Schneeflocken auf Bäume und Sträucher, um sie zu schützen und zu wärmen. Die Welt bekommt ein ganz neues Gesicht – alles Unschöne und traurig Machende wird zugedeckt mit einem weißen Teppich. Die Menschen sehen staunen wie Kinder zum Himmel, von dem nie enden wollende Scharen von Schneeflocken wirbeln. Und sie wagen sich wieder heraus aus den Häusern, warm eingemummt in Mäntel, Mützen und Schals.

Nur eine bleibt zuhause und sieht durch das Fenster, ohne das Geschehen draußen zu bemerken. Vor ihren Augen scheint immer wieder ein Film abzulaufen, von den Tagen im Sommer, wo sie noch geborgen war und eingehüllt in warme Zärtlichkeit. Jetzt ist sie allein, so unendlich allein. Sie presst ihre heiße Stirn gegen die kühle Fensterscheibe, und sie schließt die Augen, um den Bildern zu entrinnen – doch sie verfolgen sie auch hierhin, quälen und martern sie. `Warum?´ hämmert es in ihrem Kopf, `Warum?´

Der Winter scheint endlos zu sein – immer nur die gleiche weiße Fläche, die leere und trostlose Fläche. Die Menschen sitzen zuhause, längst hat der Schnee seinen Reiz verloren, nur einige unermüdliche Kinder rodeln den Hang hinunter. Alle scheinen ungeduldig dem Frühling entgegen zu fiebern, in dem die Sonne die ewig weiße Fläche aufleckt mit ihren Strahlen und sich abermals Knospen öffnen, als Zeichen dafür, dass das Leben immer wieder über den Tod siegt.

Unruhig sieht auf das junge Mädchen zum Fenster hinaus, auch sie wartet auf den Frühling. Sie weiß nicht warum, aber eine frohe Erwartung erfüllt ihr Herz. Sie ist innerlich ruhiger geworden, sie fragt nicht mehr, warum das alles geschehen ist, sie hat gelernt aus dem, was sie erlebt hat. Und sie glaubt jetzt wieder and das Wort, dass alles vorübergeht - die Freuden, aber auch das Leid. Man darf dem vergangenen Glück nicht nachtrauern, das weiß sie jetzt.

Und wieder wird es Frühling. Ein neues Leben erwacht – alles, was den Winter über wie tot schien, fängt wieder an zu leben und zeigt seine ganze Pracht, die in ihm steckt. Überall sprießt Grün hervor – das Zeichen des Lebens, nur hie und da ist noch ein kleines Fleckchen Schnee zu sehen, und auch das hat bald die Sonne weggeleckt. Überall entsteht neues Leben und auch die Menschen schöpfen neue Hoffnung.

Und das junge Mädchen geht die Wege entlang, als ob sie zum ersten Mal solche Schönheit erleben würde. Das Grün scheint ihr intensiver, das Blau des Himmels strahlender und die ersten Sonnenstrahlen wärmer. Immer wieder muss sie ihn ansehen, der dieses Wunder bewirkt hat, der das Herz aufweckte, das die Tür schon fest verschlossen hatte und das sie schon für tot geglaubt hatte. Sie hält fest seine Hand, um nicht plötzlich wieder aufzuwachen aus diesem wunderschönen Traum.

Sie ist vorsichtiger geworden, sie kann noch nicht glauben, dass es Wahrheit ist. Dass es einen Menschen gibt, der sich genauso wie sie nach Zärtlichkeit sehnt, der behutsam all die Gefühle in ihr weckt, die tief in ihr geschlummert haben. Sie genießt jeden Augenblick, den sie mit ihm verbringt. Es scheint, als wolle sie die Erinnerungen in ihrem Herzen bewahren, damit keiner sie ihr mehr wegnehmen kann. Sie wagen beide nicht, von Liebe zu sprechen, und doch fühlt sie es mit jedem Tag mehr, wie dieses Gefühl immer stärker wird, das sie für ihn empfindet. Stundenlang könnte sie in seine Augen sehen, seine ganze Seele scheint sich vor ihr auszubreiten. Und sie betet: Lass mir diesen einen Menschen, ich liebe ihn doch so sehr.

Dann wird es Sommer. Die Welt strahlt nun in bunten Kinderfarben. Die Sonne bringt auch sonst unscheinbar aussehende Dinge zum Leuchten, alles strahlt und glänzt im Wiederschein der Sonne. Die Menschen werden gelöster, sie tauen auf unter dieser Wärme und inmitten all dieser fröhlichen Farben. Sie freuen sich, dass sie auf dieser Welt sind, und sie leben für das Jetzt, für diesen Augenblick, den sie auskosten müssen, ehe er vorüberstreicht.

Nur zwei Menschen lassen sich nicht von dem Trubel und der ausgelassenen Fröhlichkeit anstecken. Langsam und bedächtig gehen sie durch die Tage, sie lassen sich nicht blenden vom Glanz des Augenblicks, sondern sie suchen das Wesentliche. Immer wieder suchen ihre Augen einander, sie lächeln sich an und schmiegen sich aneinander. Hand in Hand gehen sie umher, in ernste Gespräche versunken über ihre Gedanken und Ansichten, über ihre Gefühle und über ihre Zukunft, die vor ihnen liegt. In der alles noch offen ist, alles allein in ihren Händen liegt – Glück oder Unglück, Einsamkeit oder ein erfülltes Leben zu Zweit. Und je länger sie sich kennen, desto klarer wird ihnen, dass sie zusammengehören - untrennbar.

Und dann wird es Herbst. Nun trennt sich das Unwesentliche vom Wesentlichen, das Unbeständige vom Beständigen. Die Blätter, die den Sommer über saftig und immerwährend grün erschienen, beginnen nun ihre Farbe zu wechseln – zuerst schillern sie noch in bunten, warmen Farben, doch dann liegen sie grau und welk am Boden, von vielen Füßen zertreten und vom Wind zerfetzt. Nur einige Bäume behalten ihr Kleid. Es ist eher unscheinbar, sie haben auch nicht solch imposante Formen wie die anderen Bäume – doch sie bleiben grün, unbeirrbar durch Frost und Kälte. Sie haben nicht all ihre Kraft in ein schönes Blätterkleid gesteckt, das sie in Zeiten des Hungers und der Kälte nicht mehr erhalten können. Sie haben nur im Frühjahr ihre jungen Triebe ausgestreckt, sind ein Stückchen gewachsen, und haben sich mit einem weniger auffälligen Kleid begnügt, das sie das ganze Jahr über erhalten können. Die Tage werden kalt und regnerisch. Die Leute hetzen durch die Straßen, um schnell nach Hause zu kommen. Sie achten nicht mehr auf die anderen, sie haben selbst ihre Sorgen.

Und unsere beiden jungen Menschen? Die gehen noch immer gemeinsam durch die Straßen. Der Regen und die Kälte können ihnen nichts anhaben, sie schmiegen sich nur noch enger aneinander. Es ist eine Zeit der Bewährung für sie, die sie mühelos bestehen – gleich den Nadelbäumen, die ihre Farbe niemals wechseln, bleiben sie ihrer Liebe treu. Sie prahlen nicht mit ihrer Liebe und schreien sie nicht in die Welt hinaus. Sie bauen sich im Stillen ein ruhiges, dauerhaftes Glück, dem auch Hunger und Kälte nichts anhaben können.

Und auch als es Winter wird, ändert sich wenig bei diesen zwei Menschen. Sie sehen nun zusammen hinaus auf die weiße Landschaft, beobachten die tanzenden weißen Schneeflocken, die nach ihrer langen, weiten Reise ausruhen auf dem weißen Teppich, um sich dann im Frühling wieder aufwecken zu lassen und ihre Reise dann von Vorne beginnen. Und auch die beiden jungen Menschen sehen dem Frühling entgegen, dem neuen Jahr ... und einer gemeinsamen Zukunft.

© Irmgard Schertler




Diese Geschichte widme ich Dir, Achim, weil Du mich so liebst, wie ich bin.

(P. S. Diese Geschichte habe ich schon vor etlichen Jahren geschrieben. Doch sie passt wundervoll zu meinem Schatz, weshalb ich sie für den Valentinstag reingesetzt und ihm gewidmet habe)

6 Kommentare:

  1. Liebe Irmgard!
    Eine tolle Geschichte. Du hast großes Glück mit Deinem Achim. So angenommen zu werden, wie man ist, ist wunderbar.
    Einen schönen Valentinstag wünsche ich euch beiden
    Lemmie

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  2. liebe irmgard,

    dir und deinem achim leibe grüsse zum valentinstag.
    alke

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  3. Liebe Irmgard,
    es ist einfach, zum Valentinstag "mal schnell" einen Blumenstrauß mit Herzchen oder Ähnliches zu kaufen.
    Aber so eine schöne Geschichte für seinen Liebsten zu schreiben ist schon etwas Besonderes!

    Ich wünsche Euch einen schönen Valentinstag.

    Viele Grüße
    Traudi

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  4. Liebe Irmgard,
    eine schöne Geschichte. Ihr Beide habt Euch gesucht und gefunden - wünsche weiterhin viel Glück.
    Für mich selbst gibt es so etwas nicht mehr - zu groß ist meine Enttäuschung über die Männerwelt.
    Liebe Grüße
    Mausihelga

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  5. Liebe Irmgard, herzliche Valentinsgrüße für Dich und Deinen Schatz.
    Eine sehr emotionale Geschichte, die Du geschrieben hast und auch passend für diesen Tag.
    Alles Gute und tschüssi sagt Brigitte

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  6. Ach, das hast Du so wunderbar anrührend geschrieben! Wie es wohl jede/r, der das selbst schon erlebt hat, nachempfinden kann ...
    Jetzt komme ich doch hier noch einmal vorm Schlafengehen vorbei und mußte diese Geschichte vom Anfang bis zum Ende unbedingt noch lesen.
    Man wünscht sich, daß alles immer so bleiben würde ... und doch ändert sich im Leben so vieles. Doch schön ist es, wenn das Wesentliche, die Liebe, bleibt.

    Ganz herzlich und alles Glück der Welt Euch Beiden
    Sara

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